Abschaffung der Schulnoten unter 4. Offener Brief einiger Meraner Oberschullehrer:innen

Abschaffung der Schulnoten unter 4. Offener Brief einiger Meraner Oberschullehrer:innen

Gerne kommen wir der Bitte um Verbreitung (und Übersetzung) des folgenden Briefes einer Gruppe von Lehrer:innen der „M. K. Gandhi“ Schule in Meran nach.
Es geht darin um das Landesgesetz Nr. 12. vom 19. Juni 2023 zur Notenskala, das nicht zuletzt auch unter unseren Mitgliedern gegensätzliche Reaktionen ausgelöst hat.

Vermutlich liebt keine einzige Lehrperson die Noten1, 2 oder 3, sondern versteht sie als notweniges Übel in einigen Einzel- oder Ausnahmefällen. Viele von uns kennen und schätzen auch die Notenskala des deutschsprachigen Auslandes, das mit einer einzigen negativen Note auskommt.
Von den persönlichen didaktischen Positionen einmal abgesehen, empört uns das Stillschweigen, mit dem die Landespolitik das Gesetz im Juni 2023 verabschiedet hat - ohne die Schulwelt einzubeziehen, den Landesschulrat zu Rate zu ziehen oder mit den wirklichen Expert:innen, den Lehrer:innen, zu reden.

Wir sind besorgt über die Verfassungswidrigkeit eines Landesgesetzes in einem Bereich, der nicht nur dem Land zusteht und vermutlich Auswirkungen auf nationale/internationale Gültigkeit der Abschlüsse hat.
Die Regierung Meloni hat – was vorauszusehen war -  das Gesetz nicht vor dem Verfassungsgerichtshof beanstandet. Das Gesetz ist somit gültig und wir können vor Aktionen des zivilen Ungehorsams mit dem Risiko einer Disziplinarmaßnahme an den Schulen nur abraten.
Genauso wie die Kolleg:innen aus Meran bezweifeln wir, dass das Thema vor Gericht kommt.

Das Beispiel zeigt auch die Gefahren einer unregulierten Autonomie bzw. einer Autonomie ohne feste Verankerung in einem verfassungsrechtlichen Rahmen.
Wir möchten abschließend auch noch daran erinnern, dass viele unserer Rechte als Lehrer:innen, als Arbeitnehmer:innen und als Bürger:innen von staatlichen Normen garantiert werden, so etwa die Gültigkeit der Studientitel, die Möglichkeit einer Versetzung, die sanitäre Versorgung und nicht zuletzt unser Grundgehalt, dem wir 2/3 der letztunterzeichneten Erhöhung verdanken.

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OFFENER BRIEF EINIGER LEHRER:INNEN DER OBERSCHULE „M. K. GANDHI“, MERAN

Zur Änderung des Landesgesetzes vom 24. September 2010, Nr. 11 „Oberstufe des Bildungssystems des Landes Südtirol“ durch das Landesgesetz Nr. 12 vom 29. Juni 2023, mit welchem ein kurzer Artikel (Art.12 bis) „Die Bewertung der SchülerInnen erfolgt auf der Grundlage einer Notenskala von vier bis zehn“ und ein Vermerk „diese Regelung tritt mit dem 1. September 2023 in Kraft“, eingefügt wird, möchten wir folgende Überlegungen anstellen:

Eine Bewertung ist niemals die Bewertung der Person, sondern immer nur die Bewertung einer Leistung zu einem bestimmten Zeitpunkt -  das ist der Grundsatz, nach dem jede Bewertung eines/e  jeden/jeder  Lehrers/-in erfolgt. Deshalb ist eine Bewertung auch ein wertvolles Mittel einerseits für den/die SchülerIn, um Klarheit über den Lernstand zu erhalten und dann die Kompetenzen in einem Fach gezielt verbessern zu können, andrerseits für die LP, um festzustellen, ob die SchülerInnen die im Unterricht vermittelten Inhalte verstanden haben und in der Lage sind, sie auf neue Sachverhalte anzuwenden.

Wir fragen uns somit, ob ein Landesgesetz in Bereiche eingreifen darf, die die Professionalität der LP betreffen und Zuständigkeit der LehrerInnen sind: Wir halten diesen Eingriff für unrechtmäßig, weil er die didaktische Autonomie der Schulen und die Lehrfreiheit verletzt und dem Ansehen und der Wertschätzung der LehrerInnen in ihrer Funktion schadet.

Dieser gesetzgeberische Eingriff wurde vorgenommen ohne die Meinung der Berufsgruppe der LehrerInnen - und nicht einmal die des Landesschulrats-  einzuholen, und zu einem Zeitpunkt, zu dem es nicht mehr möglich war, die verschiedenen Standpunkte im Dialog auszutauschen, da das Schuljahr zu Ende war und viele KollegInnen bei den staatlichen Abschlussprüfungen im Einsatz.

Dass diese Regelung ab dem 1. September in Kraft treten sollte, hat eine Diskussion de facto unmöglich gemacht: denn wie würden Sie reagieren, wenn Ihnen als Eltern oder als Lernende die Bewertungskriterien, die einer Bewertung zugrunde liegen, erst im Nachhinein mitgeteilt würden? Diese Vorgehensweise stünde im Widerspruch zu unserer Arbeitsweise: jede Bewertung entsteht aufgrund von Kriterien, die den SchülerInnen vor, und nicht nach der Leistungserhebung mitgeteilt werden.

Wir fragen uns zudem, ob auch bei der staatlichen Abschlussprüfung die Bewertungsraster für die schriftlichen Prüfungen per Gesetz in Südtirol abgeändert werden.

Würde der rechtlichen Wert eines in Südtirol erlangten Abschlussdiploms, dessen rechtliche Gültigkeit und Anerkennung auf nationaler und internationaler Ebene auf der Gleichstellung mit dem staatlichen Diplom beruht, möglicherweise in Frage gestellt?

Eine Notenskala von vier bis zehn ist nicht ausgewogen, da schon die Note sechs einer ausreichenden Leistung entspricht; diese Notenskala ermöglicht es nicht, zwischen denen zu unterscheiden, die ein weißes Blatt oder äußerst dürftige Inhalte abliefern und denen, die trotz großer Schwierigkeiten Inhalte darlegen. Letztendlich wird diese Notenskala zu einer Benachteiligung der Schwächsten führen und anstatt ihnen zu helfen, wird das nur den Gerechtigkeitssinn der Jugend verletzen.

Wir stellen uns diese Fragen als Berufsgruppe, die über eine entsprechende Professionalität und Sachkenntnis verfügt und nicht nur als Angestellte, die diese Reform nur ausführen werden.

Die Anfechtung dieses Gesetzes wegen Verfassungswidrigkeit, welche das Verwaltungsgericht, den Staatsrat und erst am Ende auch das Verfassungsgericht involvieren würde, ist sehr komplex und der Ausgang am Ende fraglich, da wesentlich wichtigere und dringendere Sachverhalte zur Diskussion stehen, aber als Lehrpersonen fordern wir, dass unsere Professionalität und das Recht am Entscheidungsprozess beteiligt zu sein, respektiert wird; damit hätten die SchülerInnen ein anschauliches und realistisches Beispiel für „aktive Bürgerbeteiligung“ und „gesellschaftliche Bildung “ erfahren können statt ein durch Gesetze und andere Rechtsnormen auferlegtes Diktat.

Einige Lehrer:innen

Laura Mautone, Maria Elena Zecchinato, Laura Speranza, Sandra Alessandrini, Sara Notaristefano, Elisa Barbieri, Giuseppina Martelli, Gisella Mareso